S. Hofer (Hg.): Eugen Hubers Briefe an seine tote Frau

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Titel
Eugen Hubers Briefe an seine tote Frau.


Herausgeber
Hofer, Sybille
Erschienen
Bern 2019: Bern Open Publishing. Universitätsbibliothek Bern
von
Sybille Hofer

Eugen Huber (1849 – 1923) ist der wohl bekannteste Jurist der Schweiz. Sein Ruhm ist eng verbunden mit demjenigen des Zivilgesetzbuchs. Dieses Gesetz, das 1912 in Kraft trat und auch heute noch unter anderem das Familien- und das Erbrecht regelt, gilt im In- und Ausland als Beispiel für eine äusserst gelungene Gesetzgebung. Huber hat das Zivilgesetzbuch massgeblich geprägt, indem er den Entwurf ausarbeitete und als Nationalrat an den parlamentarischen Beratungen teilnahm.

Seit Kurzem kann man den berühmten Gesetzgeber ganz privat kennenlernen. Dies ermöglicht eine Edition von Briefen Hubers, die das Rechtshistorische Institut der Universität Bern zusammen mit der Universitätsbibliothek Bern in transkribierter Form online zugänglich macht. Die Briefe, deren Originale sich im Bundesarchiv befinden, sind an Hubers erste Ehefrau Lina, geborene Weissert, gerichtet. Huber hatte Lina Weissert im Zürcher Wirtshaus «Café Boller» kennengelernt, wo sie als Bedienung arbeitete. In diesem Lokal verkehrten viele bekannte Persönlichkeiten. Dazu gehörte auch der Schriftsteller Gottfried Keller, der – wie Huber – um Lina Weissert warb. Sie nahm 1873 den Antrag Hubers an, 1876 heirateten die beiden.

Die edierten Briefe von Huber an seine Frau haben eine Besonderheit: Der erste Brief trägt das Datum vom 28. April 1910 – wenige Wochen zuvor, am 4. April, war Lina Huber-Weissert verstorben. Eugen Huber setzte mit den Briefen an seine tote Frau die Gespräche fort, die er früher mit ihr geführt hatte: «Wann ich von Hause fort war, hast du mir jeden Tag geschrieben, was gegangen und wie du dich fühltest, u. ich habe dir ebenso geantwortet. Nun du von uns fortgegangen bist, kann ich es nicht anders halten, als dass ich dir auch so regelmässig schreibe, wie es eben von dir beobachtet worden ist.» Die Briefe stellen damit eine Art Tagebuch dar. Bis zu seiner zweiten Heirat mit Maria Schuler im Jahr 1917 verfasste Huber fast täglich einen Brief an Lina, in dem er berichtete, was sich ereignet hatte.

Bei der Lektüre erhält man Einblicke in Hubers Alltag und Privatleben. So erfährt man etwa, welche Bücher Huber las oder wie er versuchte, sich das Rauchen abzugewöhnen: «Das Nichtrauchen bekommt mir diese Tage ganz gut. Allein ich kann doch beobachten, dass ich in den Nerven etwas andres fühle, als unter der Nicotinwirkung, u. zwar fühle ich mich merkwürdigerweise nicht ruhiger, sondern unruhiger. Es zappelt mehr, riecht mehr nach Fieber, wie du es ja auch der Schrift ansehen kannst. Das wird sich zweifellos bessern, sobald ich mich an den neuen Status der Nicotinfreiheit wieder gewöhnt habe. Aber seltsam sind diese Einflüsse.» (Brief vom 16. Oktober 1910)

Nicht zuletzt dokumentiert das Brieftagebuch Hubers enges Verhältnis zu seiner verstorbenen Frau, sein «liebstes Herz». Es ist zudem ein Abbild von Stimmungen und Empfindungen des Verfassers. Insbesondere äusserte Huber in den Briefen ungeschminkt seine Ansicht über Personen, denen er begegnete. Dazu gehörten auch die Kollegen an der Berner juristischen Fakultät, an der Huber seit 1892 als Professor tätig war. Man ahnt bei der Lektüre, dass der Umgang mit ihm nicht immer leicht war. So ärgerte sich Huber etwa darüber, dass ihn der Professor für Strafrecht, Philipp Thormann, nicht über seine bevorstehende Heirat unterrichtet hatte: «Nun, ich werde ihm dazu auch nicht Glück wünschen. Diese Individualisten sind nun einmal minderwertige Leute, deren Alleinsein man mit einer sicheren, innerlichen Verachtung, beantworten muss.» (Brief vom 19. Juli 1910) Huber gratulierte dann doch – allerdings mit einem Unterton: «Vor dem Morgenessen schrieb ich an Thormann die bewusste Gratulation, auch in deinem Namen, da du ihn immer aufrichtig wohl gemocht habest. Ich spielte auf seine individualistische Lebensauffassung an u. wünschte ihm Glück, zum Eintritt in eine Gemeinschaft, bei der, wie nicht leicht bei einer andern, das Ganze über dem Einzeln stehe, u. zwar weniger der Verantwortlichkeit für die Gemeinschaft, die man auf sich lade. Ich will sehen, ob er es versteht, erwarte aber natürlich keine Antwort.» (Brief vom 31. Juli 1910)

In den Briefen an die verstorbene Lina kann man auch immer wieder Huber in der Rolle des Beraters und Gutachters erleben. Am 28. Mai 1910 etwa erhielt er Besuch von einer ihm unbekannten Frau, deren Tochter einen Jurastudenten heiraten wollte. Die Mutter hatte schon bei anderen Personen Erkundigungen über den von der Tochter Auserwählten eingeholt und dabei nur Schlechtes erfahren. Nun wünschte sie sich eine Beurteilung von Huber, bei dem der Student eine Veranstaltung besuchte: «Ich konnte nur sagen, er sei mir aus dem Kolleg u. dem Praktikum als ein sehr gescheiter u. aufgeweckter, wenn auch etwas patziger, so doch lieber u. sympathischer junger Student bekannt, über seinen Charakter dagegen könne ich nichts sagen. Die Examen werde er wohl bestehen können, das Talent dazu habe er schon, aber alles andere sei mir so ungewiss als ihr. Sie meinte, das sei das erste nicht ungünstige Urteil, das sie über ihn höre, u. schied, freilich ebenso bekümmert u. unsicher, wie sie gekommenwar.»

Nicht zuletzt ist Hubers Brieftagebuch eine Informationsquelle im Hinblick auf damals aktuelle Ereignisse. Dazu gehört beispielsweise die erste Flugschau in Bern: «Am Nachmittag war ich von 3 bis 4 Uhr auf dem Flugplatz (Beundenfeld) u. sah zum ersten Mal einen Luftschiffflug. Es war der Anfang des Berner Fliegens […]. Es war prächtig, wie leicht der Aeroplan davon schwirrte, um sich plötzlich in die Luft zu heben. Der Steurer, Taddeoli, beschrieb einen hohen Kreis in der Luft u. kehrte zur Tribüne zurück. Das Alles geschah so selbstverständlich, so leicht, es war eine Freude, dem Riesenvogel nachzuschauen.» (Brief vom 8. Oktober 1910)

Die Briefe an die verstorbene Lina gewähren vielerlei Einblicke in das Leben Eugen Hubers sowie seine Zeit. Im Augenblick ist der erste Band der Edition aufgeschaltet, der das Jahr 1910 umfasst. Die weiteren Jahrgänge werden demnächst folgen.

Zitierweise:
Sybille Hofer: Rezension zu: Sybille Hofer (Hg.): Eugen Hubers Briefe an seine tote Frau. Bern: Bern Open Publishing, 2019 . Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 2, 2019, S. 81-84

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 2, 2019, S. 81-84

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